Erstellt am / von Ulrike Pawel / in GESCHICHTE

Ka8: ein Flugzeug mit bewegter Geschichte

Ein Segelflugzeug im Hangar der Bensheimer Segelfluggruppe fällt auf: Es wirkt kantiger, klobiger und ein bisschen bunter als die anderen. Es ist eine Ka 8 (D-4608), genauer Ka 8b. Ein Flugzeug, dessen Historie sehr eng mit der Geschichte der Segelfluggruppe verbunden ist, die exemplarisch für viele andere Segelfluggruppen steht.

Die Entstehung der „Effax“

Getreu ihrem Motto: „Segelflugsport umfasst nicht allein das Fliegen, sondern auch das eigene Herstellen des Fluggerätes“ begannen 1959 die Bensheimer Segelflieger nach den Plänen des Alexander-Schleicher-Flugzeugbaus eine Ka 8b in Lizenz zu bauen. Immerhin konnte man viel Erfahrung vorweisen, handelte es sich doch um das dritte Eigenbauprojekt (SG38, Bergfalke) seit der Vereinsneugründung. Das Modell selbst hatte seine Primäre März 1958 gehabt und wurde bis 1976 insgesamt 1180 mal produziert.

Foto: Handgefertigten Endrippen für den Bergfalken Foto: Mettler

Alle Holzarbeiten, jede einzelne Rippe, jede Planke wurde von Hand ausgesägt und in Form gebracht. Der Stahlrohrrumpf, Holme und Hauptbeschläge waren einige der wenigen Fertigteile, die dazugekauft werden mussten. Die zeitaufwendige Bespannung wurde wiederum in Eigenleistung bewältigt.

Foto: Erstflug Juni 1961, Pilot Fritz Schader senior Foto: Wünsch

Stolz präsentierte sich die Ka8 b nach etwa zwei Jahren Bauzeit am 25.06.1961 bei ihrem ersten Start in den Bensheimer Stadtwiesen als „moderne Hochleistungsmaschine“ (Zitat Tageszeitung). Dank des Sponsors Schweizer Effax GmbH und der entsprechenden Werbeaufschrift erhielt sie neben dem amtlichen Kennzeichen D-4808 den Namen „Effax“. Schon im ersten Jahr hatte sie 188 Starts und gut 85 Flugstunden im Bordbuch stehen.

Foto: (Mettler) 1963: Die „Effax“ vor dem Vereinsheim, dahinter der Geier II. Parallel zur Ka 8 gebaut überlebte der Geier seinen Erstflug jedoch nur 8 Wochen

Das Leistungsflugzeug

Es folgten glorreiche Zeiten als Streckenflugzeug: allein 1962 zwölf Flüge mit insgesamt über 1760 km, darunter zwei 300 km-Ziel- bzw. Ziel-Rückflüge. Auch die nächsten Jahre ging die Ka 8 auf große Touren in den Südwesten, nach Frankreich und in die Alpen, bescherte ihren Piloten so manchen Streckenflug-Diamanten am Leistungsabzeichen.

Foto: 1963 Ka8 mit Pilot Erhard Jatsch vor der Alpenkulisse


Der prominenteste Flug war sicherlich 1964, als Erhard Jatsch 406 km in die Bensheimer Partnerstadt Beaune flog und damit einen Preis der Stadt Bensheim für diese Leistung einheimsen konnte. Geflogen wurde übrigens noch ohne Funk, navigiert mit Kompass und Karte.
Sie begleitete ihre Piloten bei Wettbewerben und Vergleichsfliegen, wo sie sich wacker schlugen. 1969 stieg sie in der Leewelle des Odenwaldes am Melibokus auf 3400 m MSL (Tageszeitung 11.04.1969).

Foto (Wünsch): Flugmeldung anno 1964

Damals war die „Effax“ mit einem A-Spatz, einer „Hochleistungs-Ka 6“ (ebenfalls in Eigenleistung 1964 gebaut) und dem Doppelsitzer Bergfalken (gebaut 1954-56) in bester Gesellschaft. 1971, mit zehn Jahren, hatte sie insgesamt 3101 Starts und fast 1.680 Stunden „auf dem Buckel“. Funkgeräte erhalten zunehmend Einzug in die Segelflugzeuge.

1972 brannte das Vereinsheim ab. Den Brand überstand die Ka 8 im Gegensatz zum Bergfalken ohne gravierende Schäden.
1973 wurde die „Effax“ grundüberholt. Das heißt, der komplette Lack wurde mühevoll abgebeizt, die Bespannung heruntergenommen. Holzbeplankung und Rippen wurden kontrolliert, der Stahlrohrrumpf wurde ebenfalls kontrolliert und frisch lackiert. Dann wurde die neue Bespannung mit Klebelack angebracht, schichtweise der Bespannungslack aufgebracht und schließlich die Endlackierung als UV-Schutz vorgenommen. Im Schnitt war diese umfangreiche Prozedur alle zehn Jahre fällig. Dank besserer Lacke haben sich die Abstände heutzutage auf ca. 30 Jahre verlängert.

Das Schulungsflugzeug

In den 70er Jahren kommen die ersten Kunststoffflugzeuge als Vereinsmaschinen auf, so auch in Bensheim. Eines, der Mistral, wird sogar in Bensheim entwickelt. Leistungsstärker und viel bequemer sowohl in Handhabung als auch in der Pflege verdrängen LS1, Club-Astir und wie sie alle heißen, nach und nach die alten Holzflieger.

Die Ka 8 wird zunehmend als Schulungsflugzeug eingesetzt. Gutmütig wie sie ist, erträgt sie die zahlreichen Flugschüler im Laufe der Jahre, begleitet sie regelmäßig auf ihren ersten 50 km-Flügen, ermöglicht ihnen den fünf-Stundenflug und die 1000-m-Startüberhöhung zur Erlangung des silbernen Segelflugabzeichens. Ist die Thermik unvorhergesehen zu Ende, reicht ein kleiner Acker, ein Stück Wiese, notfalls ein Fußballfeld.
Ungezählt sind die Starts beim Jugendvergleichsfliegen, bist heute ist sie stets dabei.

Foto: Jugendvergleichsfliegen (Archiv SFG-Bensheim)

Da wird auch schon mal eine Ka 8 (Flugsportgruppe Mümlingstal e.V.) mit Hilfe einer anderen Ka 8 (Segelfluggruppe Bensheim e.V.) gezogen.

Manche herzhafte Landung übersteht sie mehr schlecht als recht. Immer wieder werden kleinere Blessuren in der vereinseigenen Werkstatt repariert: hier ein paar Rippen ausgetauscht, dort ein abgeknickter Schwanz gerichtet, ein Loch in der Bespannung geflickt. Dabei gewährt sie den jungen Piloten tiefe Einblicke in ihre innere Struktur und damit in die klassische Flügelkonstruktion. Foto7: Rekonstruktion einer beschädigten Endrippe –

Foto: Rekonstruktion einer beschädigten Endrippe

 

Foto: Die Jugend bei Reparaturen altehrwürdiger Art am „lebenden Objekt“

Das Ende der Holzflugzeug-Ärea

Als jedoch Mitte der 90er Jahre der Schulungsdoppelsitzer ASK13 (ebenfalls in Holzbauweise mit Stahlrohrrumpf) gegen eine elegante ASK21 aus Kunststoff ausgetauscht wurde, waren die Tage der Ka 8 angezählt. Für manchen galt es als Rückschritt, die Flugschüler nach ihrem ersten Alleinflug auf dem Kunststoff-Doppelsitzer auf den alten Holzflieger umzuschulen. Auch die Flugschüler selbst zogen den Komfort der modernen Kunststoffflieger der „Holzklasse“ vor.

Die Ka 8 wirkte altmodisch, unzeitgemäß. Für das Leistungsfliegen schon lange zu schlecht, zu unbequem. Spartanisch sitzt der Pilot aufrecht auf einem Kunststoff-Sitz. Einem Sitz übrigens, für dessen anatomische Form seiner Zeit das Hinterteil eines gestandenen Fluglehrers (Walter Ludwig, † 2015) als Modell diente. Ist der Pilot zu leicht, dann liegt eventuell noch ein hartes, unförmiges Bleikissen dazwischen. Sitzverstellung, Bleihalterung, dicke Velourpolster oder Navigationsrechner – unnötiger Luxus. Fahr-, Höhenmesser, Variometer, Funkgerät und, als einzige Reminiszenz an die Moderne, ein Flarmgerät sind die wenigen Instrumente.
Dank der dünnen Stoffbespannung wird es bei niedrigen Temperaturen schnell empfindlich kalt im Cockpit.

Das Aufrüsten der Ka 8 ist umständlicher und aufwendiger als bei den modernen Kunststoffflugzeugen: Schon um die Flügel und den Rumpf vom (offenen) Hänger herunterzuheben sind mehrere Helfer nötig. Fehlt das passende Werkzeug, ist die Auf- oder Abrüstaktion beendet, bevor sie richtig begann. Besonders ärgerlich, wenn man nach einer Außenlandung auf einem einsamen Acker steht, um die Ka 8 wieder für die Rückhole einzupacken…

Als Holzflieger ist sie wartungsintensiv, muss regelmäßig zeitaufwendig grundüberholt werden. Sie steht zum Verkauf, aber kein Käufer hat Interesse. Soll sie als Osterfeuer enden, wie so manch anderer Holzflieger in dieser Zeit?


Phönix aus der Asche: Die Cabrio-Ka 8

Es regt sich Widerstand im Verein: Einige Vereinsmitglieder, darunter viele Flugschüler, sprechen sich gegen einen Verkauf aus. 1997 sammeln sie in ihren Reihen Geld und kaufen ihr Schätzchen dem Verein für den Verein ab, mit dem schriftlichen Versprechen, das dieses Flugzeug „niemals mehr verkauft, geschweige denn dem Feuertod übergeben werden darf. Die Jugendgruppe wird sich sich im Gegenzug um die Instandhaltung kümmern, damit sie auch in Zukunft von den Schülern und Piloten der SFG geflogen werden kann.“

Foto: Ka8 bei Jung & Alt beliebt

Zwischenzeitlich hat sie ein neues Outfit bekommen und ihren alten Namen „Effax“ abgelegt: blau-weiß mit Wölkchen am Leitwerk. Aber „Wölkchen“ setzte sich nicht so prägnant in den Köpfen der Vereinsmitglieder fest wie ehemals „Effax“. Ab nun heißt sie einfach „die Ka 8“.

Frischen Auftrieb bekam sie im Frühjahr 2010 dank Horst Garber und Helfer durch die neue Cabriohaube, inklusive einer Rückwand als Windschott.
Plötzlich ist es auch für Scheininhaber an heißen Sommertagen wieder ein Vergnügen, mit dem Oldtimer gemächlich über Bensheim zu fliegen, sich den Wind um die Ohren pfeifen zu lassen. Bei einem Cabrio-Flug über einem erntereifem, warm duftendem Kornfeld bekommt der Ausdruck „Thermik-Schnüffler“ eine ganz praktische Bedeutung. Noch bevor der Hintern die Thermik registriert, spürt man ihr Rütteln am Knüppel, den ungedämpften, kugelgelagerten Querruder sei dank.

Foto: Besonderheit der D-4608: Anstelle der sonst eher üblichen filzgleitgelagerten sind hier kugelgelagerte Querrudergestänge in den Flügeln verbaut

Abseits aller Leistungsgedanken entdecken so die Piloten das ursprüngliche Fliegen mit allen Sinnen wie in alten Zeiten wieder für sich. Und wie in alten Zeiten müssen sie sich anstellen. Dieses Mal aber hinter den Flugschülern, die nur ungern ihr Schätzchen abgeben, auch wenn mittlerweile der vielseitige Einsitzer LS4 Einzug in die Schulung erhalten hat. Cabrio-Ka 8 fliegen ist cool.

60 Jahre nach ihrem Erstflug hat die D-4608 ca. 12.250 Starts und rund 5.320 Flugstunden im Dienste der Segelfluggruppe Bensheim absolviert. Vom Opa bis zur Enkelin haben Generationen von Piloten und Pilotinnen mit ihr ihre fliegerischen Fähigkeiten erweitert. Sie hat dabei über die Entwicklung vom Leistungs- zum Schulungsflugzeug die erstaunliche Wandlung zu einem coolen Oldtimer geschafft. Happy Birthday Ka 8.

Foto: Ka 8 – Happy Birthday

Quellen:
„Die Segelflugzeuge und Motorsegler in Deutschland“, Geistmann, 2007; Archiv SFG-Bensheim, Interviews, Lebenslaufakte

Historische Fotos:
Walter Ludwig, Gottfried Mettler, Otto Wünsch,

Sonstige Fotos:
Archiv SFG-Bensheim, Ulrike Pawel