Erstellt am / von Ulrike Pawel / in VEREINSLEBEN

Die Segelflieger und die Störche

Nach den letzten kalten Wochen sehnt man sich nach den ersten Frühlingsboten. Tatsächlich – die Zeichen sind unübersehbar: Die Eiscafés haben wieder geöffnet, Krokusse und Schneeglöckchen erfreuen das Auge und die Singvögel formieren sich zu ihrem morgendlichen Frühkonzert! Und plötzlich sind sie wieder da, die Bensheimer Störche.

Die Segelflieger haben sich während des Winters in die geheizte Werkstatt zurückgezogen, um ihre Flugzeuge in aller Ruhe zu warten und wieder auf Vordermann zu bringen. Ihre gefiederten Freunde dagegen, die im Sommer gemeinsam mit den Segelflugzeugen in den warmen Aufwinden nach oben steigen, müssen auf diesen Komfort verzichten. Sie flüchten in den sonnigen Süden, die Bensheimer Störche als sogenannte „Westzieher“ nach Spanien oder noch weiter über Gibraltar nach West-Afrika, z. B. Senegal. Zahlreicher sind die „Ostzieher“, die das Mittelmeer über Osteuropa und die Türkei umfliegen, um nach Ost- oder gar nach Süd-Afrika zu gelangen.

Je nach Wetterlage können sie bis zu 500 km an einem Tag im Segelflug zurücklegen. Die Maximalgeschwindigkeit liegt bei ca. 100 km/h, die Dienstgipfelhöhe beträgt ca. 4500 m. Diese Höhen erreichen die Störche dank thermischer Aufwinde, denn sie sind als Langstreckenflieger hauptsächlich im Segelflug unterwegs. Daher meiden sie das offene Meer und sind nur tagsüber als VFR-Flieger auf Wanderschaft.. Im Gegensatz zu den IFR-erfahrenen Kranichen, die z.B. letzte Woche laut trompetend auch beim nächtlichen Überflug zu hören waren. Tagsüber beeindrucken die Kraniche, wie sie mit kräftigen Flügelschlägen in einer strengen, aber energiesparenden Formation vorüberziehen. Die Weißstörche sammeln sich zwar auch für den Abflug in größeren Pulks, kommen aber eher individuell in lockeren Gruppen wieder zurück, ganz ähnlich wie Segelflieger während eines Wettbewerbes.

Als Erster kehrt meist das Männchen heim zum Nest und wartet auf eine Dame, aber nicht unbedingt seine Dame. Man(n) ist nesttreu ansonsten gegenüber neuen Lebensabschnittsgefährtinnen aufgeschlossen. Und wie im wirklichen Leben ist die Verflossene nicht immer damit einverstanden.Über die navigatorischen Hilfsmittel, mit denen sie sich über die weite Strecke orientieren, halten sich die Störche bedeckt. Sicher ist, dass es sich dabei nicht um eine Satelliten basiertes System (GPS) handelt. Vermutet wird eine Kombination aus Sonnenkompaß, Inklinationskompaß (Magnetfeld), Polarisationsmuster des Himmellichts sowie dem Infraschallmuster der Erdoberfläche, die es ihnen ermöglicht, ihrer vererbten Zugrichtung zu folgen und so das Winterquatier zu finden, ganz ohne ICAO-Karte und Kursrechner. Es gibt dabei bevorzugte, d.h. bewährte Vogelflugrouten, aber manch ein Vogel sucht sich lieber abseits der bekannten Pfade seinen eigenen Weg.

Während die Jungstörche ihren Aufenthalt im Süden gerne um ein bis drei Jahre verlängern, kehren die Alttiere schon ab Februar wieder zurück in die nördlichen Hemisphären. Der Grund: Im Süden gibt es in der Brutsaison viele Nahrungskonkurrenten. Außerdem ermöglicht das längere Tageslicht im Norden in kürzerer Zeit mehr Futter zu finden und damit seine Jungen schneller großziehen. Immerhin braucht ein Storchenküken bis zu 1200g Futter täglich, später als Alttier reichen ca. 500g. Bei bis zu fünf Jungen, wie 2015 in einem Bensheimer Horst, kommt da eine Menge zusammen. Kein Wunder, dass die Störche im Sommer so oft auf dem Segelflugplatz vorbeischauen. Hier gibt es ein reichhaltiges Angebot. Sie sind jedoch weniger am guten Kaffee und Kuchen interessiert. Ein kleiner Snack wie Regenwürmer, Heuschrecken (insbesondere für die Jungen am Anfang) oder was Handfestes wie Frosch, Maus oder Maulwurf ist ihnen lieber. Dabei lassen sie sich auch nicht durch startende oder landende Flugzeuge stören.

Mit der Ankunft der ersten Störche werden auch die Segelflieger zunehmend von einer inneren Unruhe erfasst. Der Spruch der Alten kommt in den Sinn: „Merk dir, wenn die Störche zurückkommen, ist der Saisonstart nicht mehr weit. Dann ist es höchste Zeit, die Flugzeuge wieder einsatzfähig zu haben.“ Und während die Störche fröhlich im Nest klappern, klappert es auch in der Segelfliegerwerkstatt, scheinbar etwas geschäftiger als zuvor. Schließlich will niemand den Saisonstart verpassen…

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